Titus Gast veröffentlichte in der Telepolis den Artikel Geschichten aus dem orthografischen Märchenwald, in dem er 7 Lügen über die Rechtschreibreform »aufdeckt«.
Die Rechtschreibreform greift massiv in unsere schöne deutsche Sprache ein und verändert sie.
Sein Argument: Die Reform greift nicht in die Sprache, sondern nur in ihre Verschriftung ein. Korrekt wäre: Eine Rechtschreibreform sollte nur in die Schrift eingreifen – über die neuen Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung werden sprachliche Ausdrucksmittel verwischt. (»Was Gott tut, ist wohl getan.«)
Als nächstes Argument wird die »Lüge« aufgegriffen, daß die Reform den Bürgern aufgezwungen wurde.
Sicherlich wäre eine Volksabstimmung eine feine Sache gewesen. […] Betrachtet man sich aber die Gruppen, für die sie verpflichtend ist, dann erscheint ein solches Vorgehen fast schon unsinnig, schließlich müsste man dann nach der gleichen Logik die Schüler auch über Lehrplanänderungen und Schulreformen abstimmen lassen, Angestellte und Beamte müssten demzufolge auch befragt werden, ob sie beispielsweise einer Verlängerung ihrer Wochenarbeitszeit zustimmen würden.
Und das in einem tendentiell linken Magazin: Man stelle sich vor, die Arbeiter würden befragt werden, ob sie beispielsweise einer Verlängerung ihrer Wochenarbeitszeit zustimmen würden – dann hätten wir ja (horribile dictu!) eine Gewerkschaft! Oder, im anderen Falle: SMVs und AStAs!
Schade, daß Telepolis sich hier die Chance entgehen hat lassen, einen ihrer beliebten wirtschaftskritischen Artikel zu schreiben, war »Bertelsmann hat schon gedruckt« doch ein Argument, die Reform durchzudrücken.
Dritte »Lüge«, »idiotische Schreibweisen«, »Delfin« et.al. Entkräftung: Man dürfe ja beides. Prima. Konsequent wäre eine italienische Lösung gewesen mit »Filosofie« und »Ortografie« – aber mit Zwittern wie eben »Orthografie« ist keinem wirklich geholfen, und für den Rest hätte der deskriptive Ansatz der Wörterbücher ausgereicht. Ob nun »Portemonnaie« (alt) oder »Portmonee« (neu) – nachschlagen muß man beides (wo ist eigentlich das zweite n geblieben?). Für eine wirklich »logische« Regelung hätte es hier einer immer (!) anzuwendenden phonetischen Transkription bedürft.
Zusammengesetzte Substantive werden abgeschafft.
Wer behauptet denn sowas? Die Verbzusammenschreibung ist mißlungen; die Bindestrichregelung bei Substantiven ist durchaus sinnvoll, wenn sie nicht übermäßig angewandt wird.
Fünfte Lüge. Die Schriftsteller und Journalisten seien eben keine geeigneten Kritiker.
Hier melden sich lautstark Menschen zu Wort, die gar nicht betroffen sind
Die Journalisten sind natürlich betroffen, aber das ist gar nicht der Punkt: Natürlich melden sich Schriftsteller zu Wort, genau wie es Journalisten auch getan haben – und diverse Sprachwissenschaftler. Es ist eine unfaire Diskussionsweise, den Fürsprechern der Gegenseite die Satisfaktionsfähigkeit abzusprechen, die der eigenen (also Politikern; von der zwischenstaatlichen Kommission ist kaum die Rede) aber nicht zu hinterfragen.
Die Reform stiftet nur Verwirrung. Das sieht man jeden Tag in den Print- und Online-Medien, da wimmelt es nur noch so von Fehlern.
Diese »Lüge« wird damit entschuldigt, daß man im Lektorat spart. Außerdem gibt Gast zu, daß man sich bei der Reformierung nach der Rechtschreibkorrektur des Computers richtet. Prima. Wozu der Computer, wenn ohnehin alles so einfach und logisch geworden wäre?
Die vermehrten Fehler sind hauptsächlich Hyperkorrekturen auf dem Gebiet der Getrenntschreibung – was auch nicht verwundert, muß man doch, um korrekt nach neuer Rechtschreibung zu schreiben, die Partikelliste auswendiglernen.
In der siebten »Lüge« geht es um Statistiken. Die lügen ohnehin, und außerdem will ich auch keine basisdemokratische Sprache. Basisdemokratische Sprache ist »Mandy’s Imbiss Bude«. Sinnvoll wäre weiterhin eine deskriptive Lexikographie mit einer Neuformulierung der alten Regeln, wie es Theodor Ickler getan hat.
Der Artikel sollte die 7 Wahrheiten über die Schlechtschreibreform der BILD entkräften. Die sind (daß ich so etwas einmal sagen muß …) im wesentlichen zutreffend, wenn auch teilweise übertrieben (Die Rücknahme der Reform kostet nichts! glaubt hoffentlich keiner ernsthaft, und »verfassungswidrig« ist auch eine sehr plakativ-übertrieben Interpretation).
Das Engagement der BILD sehe ich im übrigen sehr kritisch: Einerseits hilft es der Sache (welcher Politiker könnte in so einer Bagatelle ernsthaft gegen die BILD entscheiden?), andererseits macht die BILD weiterhin widerliche Schmierenpropaganda, unbeleckt von Anstand und sachlicher Richtigkeit – gerade jetzt kommt das BILDblog genau zur richtigen Zeit.