Woran das deutsche Bildungssystem krankt. Theil n+2

Und wieder ist ein Sommerlager vorbei; diesmal hatten wir ziemlich viele junge Kinder zum ersten Mal dabei.

Eigentlich sollte jeder, der sich zum Bildungssystem äußern will, so eine Woche mit Kindern zusammenleben. Einiges Erschreckende kommt zu Tage: Achtjährige haben Probleme, rechts und links auseinanderzuhalten (wohlgemerkt – da wir ja immerhin ein katholisches Lager sind –: ein Alter, in dem die Kinder »hinreichende Kenntnis« zum Empfang der Eucharistie haben sollen), Zehnjährigen muß man zeigen, wie man Teller abtrocknet und fegt. (Übrigens: Begriffe wie Sakrament und Monstranz sind durchaus bekannt – irgendeine Zeichentrickserie oder ein Computerspiel im Stile der Pokémons nennt so besondere Waffen.)

Ich jedenfalls werde mich beizeiten um eine private Altersvorsorge kümmern – daß die mir Nachgeborenen meine Rente einmal zahlen (können), bezweifle ich.

Emanzipation bizarr.

Mit unserer Bundesebene haben wir Freiburger schon so manchen Strauß ausgefochten. Auch die diesjährige Bundeskonferenz war spannend: Neben einem inoffiziellen Studienteil zum Thema Heterogetucke (ausgerichtet von der neu gegründeten Kooperation Fulda–Freiburg) wurde auch geschlechtergetrenntes Fußballspielen in Vierteln beschlossen. Ein alberner Unsinn, der mich zu einer persönlichen Erklärung motivierte:

Die KjG ist ein Verband, in dem die Geschlechtergerechtigkeit in weiten Teilen in vorbildlicher Weise verwirklicht ist. Unsere Strukturen und unsere Traditionen ermöglichen die Partizipation aller Geschlechter. Nun haben wir ein sogenanntes »Gender-Mainstreaming-Leitbild« verabschiedet, das nichts neues sagen muß, weil wir bereits jetzt mehr verwirklicht haben, als gesamtgesellschaftlicher Stand ist. Die KjG ist in bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit unbedingt ein Vorbild.

Dennoch verweigert sich unser Verband der Auseinandersetzung mit dem Konzept »Gender« als soziales Geschlecht – in den geschlechtergetrennten Konferenzen, aber auch im Antrag »KönigIn Fußball« wird bloßes »sex mainstreaming«, also die völlige Fokussierung auf das biologische Geschlecht, betrieben.

Kritik an den bestehenden, allein das biologische Geschlecht betonenden, Strukturen wird abqualifiziert, die soziologische Theorie eines sozialen Geschlechts tauchte und taucht zu keiner Zeit auf.

Die Behauptung, die Methode »Gender Mainstreaming« werde in der KjG angewandt, ist schlicht und ergreifend falsch. Wenn wir unsere eigenen Beschlüsse ernstnehmen, müssen wir weg von der reinen Betrachtung des biologischen Geschlechts hin zu einer ernsthaften Beschäftigung mit dem sozialen Geschlecht.

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Ein Gebet um Humor kann sich in der Öffentlichkeit der Kirche augenscheinlich nur halten auf die Fürsprache eines großen Heiligen hin. Es ist aber sicherlich auch bezeichnend, daß sich ein solches Gebet gerade unter den Schutz dieses Heiligen gestellt hat. Er dürfte es mit Humor tragen.
(Quelle)

Meine Recherchen zum Thomas Morus zugeschriebenen Gebet »Um Humor« sind abgeschlossen:
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»Sie müssen ihm schon ein wenig mehr Angst machen!«

– sprach eine Mutter heute bei meiner alljährlichen KjG-Nikolaus-Tour. Überhaupt macht man sich erst als Nikolaus ein wirkliches Bild unserer Gesellschaft: Eltern, die ihren Kindern zu eben jenem Festtag Geschenke im dreistelligen Euro-Bereich schenken, ansonsten aber vollkommen mit ihrer Erziehung versagt haben und ihr Gewissen externalisieren, indem sie von Miet-Heiligen (wie mir) Rute, Kettengerassel, Sack und sonstige wilhelminische Pädagogik (oder, wie Werner Mezger es nennt, »gegenreformatorische Adventspädagogik«) einfordern. Ich halte es dann doch eher mit Manfred Becker-Huberti:

Auch heute noch kann man den Einkehrbrauch verantwortlich inszenieren, wenn man mit dem Brauch keine Angst auslöst und die Kinder die Güte des Heiligen erleben lässt.

Wenigstens das Bonifatiuswerk weiß noch, um was es geht (die Kölner sowieso) – und dort würde man auch sicher nicht die Mitra als Insignium des »Oberweihnachtsmannes« (Zitat eben jener Mutter) identifizieren.

Eins hab ich noch

Einer meiner ersten Artikel im Krokant:

Eins hab ich noch!

Eins ist eigentlich eine langweilige Zahl: völlig eindimensional, einseitig und vielleicht sogar einfältig. Und unpraktisch: auf einem Bein kann man nicht stehen, einmal ist keinmal und als Artikel ist sie allzu unbestimmt. Und trotzdem beginnen mit der Eins die natürlichen Zahlen.

Irgendwie ungerecht.

Oder?

Gerade deswegen ist die Eins nämlich auch ziemlich einzigartig und einmalig. Alle denken an das eine, wollen eins mit dem Universum werden, Allah ist einer und unteilbar, die Kirche die eine heilige und so weiter, ein Mann, ein Wort, ein Ring, sie zu knechten.

Die scheinbar unscheinbare Eins ist also gar nicht so klein und unbedeutend, wie sie scheint für uns Menschen als Individuen, Un-Teilbare, Einzigartige.

Platon legt in seinem »Symposion« dem Dichter Aristophanes die Geschichte von den ursprünglichen Menschen in den Mund: sie seien »Kugelmenschen« gewesen, Doppelwesen. Doch ihre Einheit, ihre Vollkommenheit erregte Zeus’ Neid, der sie daraufhin in zwei Teile teilte, die beständig einander suchen. So erklärt Platon den eros, das Zueinander-Hingezogen-Fühlen der Menschen, oder, abstrakter: den Wunsch nach Einheit.

Und Platon hat recht: Einheit ist ein besonders emotionaler Begriff, für jeden, außerhalb aller philosophischen Spitzfindigkeit.
1989 war ich sechs Jahre alt; den neunten November habe ich also wenig bewußt miterlebt. Und trotzdem: daß diese »Ein-heit« etwas ganz besonderes ist, habe ich gespürt. Ich wußte nichts von DDR, SED, sowjetischer Besatzungszone – aber daß da etwas ganz besonderes passierte, das habe ich gefühlt – da ging es nicht um Politik oder gar um Großdeutschland (wie es in allzu linken Kreisen kolportiert wird), da ging es um ein ganz grundsätzliches Gefühl.

Einige Jahre später war ich in Taizé, wo ich das erste mal wirklich Glauben spürte: junge Menschen von überall auf der Welt, und trotzdem war da etwas, das alle gemeinsam hatten: eine Lebensmitte.

Und deshalb finde ich die Eins einmalig.