Bizarre CC-Geschäftsmodelle

Meine Artikel stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz, die eine kommerzielle Verwendung erlaubt (Begründet habe ich das auch mal.). Das korrespondiert mit meiner Sicht auf den Komplex Urheberrecht und Werkherrschaft: Sobald man etwas in die Öffentlichkeit stellt, ist es vorbei mit Werkherrschaft, und warum etwas verknappen, das dem Wesen nach nicht knapp ist? Ich schätze die Umsetzung von Unternehmergeist, wie sie von CC-Lizenzen ohne eine NC-Bedingung ermöglicht wird. Dazu Kritikant:

[D]ieses Modell [ermöglicht es], dass jemand, der eine richtig gute Idee hat, wie man aus einem Werk Kapital schlagen kann, weil er es auf bestimmte Weise erweitert, oder Dienste drumherum anbietet o.ä. das einfach tun kann.

Das treibt gelegentlich seltsame Blüten, die dann durchaus auch jenseits der Grenzen guten Anstands sein können. Auf eine Instanz bin ich dieser Tage hereingefallen: Der dem Netz ansonsten unbekannte Max Nemstein hat einen beeindruckenden Output an relativ teuren (von 34 bis 79 Euro) Taschenbüchern, alle im »Verlag« FastBook Publishing erschienen, alle zu gerade aktuellen Themen. Ich hatte mir »Piratenpartei Deutschland: Wer sie ist, was sie bietet, wie sie Wähler kapert« bestellt und fand: 21 Artikel aus der Wikipedia, über die Buchfunktion der Wikipedia hergestellt. Die neueren Kompilationen Nemsteins tragen den (50er-retro-) Slogan »Aktuell und IN – hier ist Wikipedia drin«, bei den meisten gibt es gar keinen Hinweis darauf. (Zum Glück kann man per Amazon-Rezension warnen.) Auch wenn ich (unter uns Kleinganoven) die Chuzpe Nemsteins bewundere – ich hoffe, daß auch hier Hayek greift: »Es ist eine Hauptaufgabe des Wettbewerbs zu zeigen, welche Pläne falsch sind.«

Ausgerechnet die Kirche?

Die Süddeutsche Zeitung hat unter dem Titel »Zollitsch: Reiche stärker besteuern« eine Meldung der DPA (dort noch neutraler mit »Zollitsch: Spitzen-Einkommen stärker besteuern« überschrieben) aufgegriffen. Der Inhalt ist reichlich unspektakulär, auf dieser Linie argumentiert die Kirche schon seit langem.

Interessant finde ich, wie die Süddeutsche den Text anteasert: »Ausgerechnet die katholische Kirche plädiert nun auch dafür, den Reichen höhere Steuern abzuknöpfen.« Warum »ausgerechnet«? (Erklärt wird es im Artikel nicht.) Aus diesem Anreißer lese ich eine nicht durch Sachkenntnis, sondern durch Ressentiments getriebene Berichterstattung. Wie kommt man sonst auf dieses »ausgerechnet«? Dahinter scheint mir eine lose Assoziationskette Kirche = CDU = Mächtige = Reiche = für Privilegien von Reichen zu stehen, bestenfalls abgesichert durch aktuelle Spiegel-Lektüre und Böll-Lektüre aus vergangenen Tagen (»sollte es Ihnen […] einfallen, Zweifel am (unausgesprochenen) Dogma von der Unfehlbarkeit der CDU zu äußern, so wird Pfarrer U. auf eine nervöse Weise ungemütlich und unsubtil«, Brief an einen jungen Katholiken).

Mit der katholischen Soziallehre hat dieses »ausgerechnet« nicht zu tun. Mit der Trennung von Meinung und Berichterstattung – im DPA-Text funktioniert das noch gut – auch nicht. Wenn dann wenigstens die Meinung fundiert wäre!

(Inwiefern die Kirche selbst dafür verantwortlich ist, daß sie zu einem solchen »ausgerechnet« Anlaß gibt, wäre freilich auch zu überlegen. Franziskus wußte schon, warum er die Armut so hoch schätzte.)

Taxikartelle

Ein besonders drängendes Thema in Dachau scheinen zur Zeit Taxigebühren zu sein: »Debatte um höhere Gebühren: Taxifahrer fordern mehr Geld« Der ganze Artikel dreht sich im wesentlichen darum, wie feinziseliert das Taxi-Kartell aufgebaut ist, wie viele Entscheidungsinstanzen es gibt – die Dachauer Taxivereinigung, die Taxi-Genossenschaft München (und weitere Taxikartelle aus dem Umland), Landratsämter und ein Kreisverwaltungsreferat – und wie die Preisbildung in Kartellen funktioniert:

Die Antragsteller aus München, Freising und Erding wollen für eine normale Fahrt in der Stadt durchschnittlich zwölf Prozent mehr, fordern für Fahrten vom und zum Flughafen jedoch ein Plus von 16 Prozent. Zusätzlich sind Gebühren für Gruppen von mehr als vier Personen (bisher erst beim sechsten Passagier) sowie für die Zahlung mit EC- und Kreditkarte vorgesehen.

Brachos hält Erhöhungen von mehr als 15 Prozent für unrealistisch […]. Außerdem würde ein solcher Vorschlag an der Zustimmung der Behörden scheitern. Auch die Genossenschaft Taxi München kritisierte die Forderungen ihrer Kollegen als überzogen: Sie will sich lieber an der Inflationsrate von sieben bis zehn Prozent seit der letzten Tariferhöhung orientieren.

Der ganze Artikel, die ganze Aufregung wäre völlig unnötig, würde man hier einfach nur Ordnungspolitik betreiben: Für einen funktionierenden Taximarkt braucht es höchstens einen Personenbeförderungsführerschein, eine TÜV-Plakette für Autos, mit denen man Personen befördern kann, und geeichte Taxameter. So hat man nur groteske Bürokratie und groteske Markteintrittshürden. (Zum Thema öffentlicher Verkehr gab’s vor zwei Jahren eine sehr interessante Folge EconTalk: Mike Munger on the Political Economy of Public Transportation.)

Neuroreduktionismus

Winfried Hassemer in der FAZ über den Kategorienfehler, Strafrecht und (Neuro-)Biologie zu vermischen:

Der Kategorienfehler in den Neurowissenschaften besteht in der Annahme, empirisch arbeitende Wissenschaften könnten wissenschaftlich darüber befinden, ob andere Wissenschaften ein Konzept von Freiheit entwickeln dürfen oder nicht, also: ob es Freiheit „gibt“ oder nicht. Eine solche Annahme setzt eine Hegemonie unter Wissenschaften zwingend voraus, und diese Hegemonie gibt es nicht. Es gibt auch kein allgemeines Konzept von Freiheit, das über allen Wissenschaften schwebt, und es gibt schon gar keine Verfügungsmacht der empirischen Wissenschaften, gäbe es ein solches Konzept.

Ein schönes Plädoyer gegen einen normativen Reduktionismus, der glaubt, alles mit Methoden der Naturwissenschaft erklären zu können und so den naturalistischen Fehlschluß zur handlungsleitenden Maxime macht. (Und das ganze dann auch weder ontologisch noch erkenntnistheoretisch argumentierend, sondern aus dem Werkzeugkasten des Strafrechts heraus. Chapeau!) (via weissgarnix)

Repressive Toleranz

Harald Jähner kommentiert in der Berliner Zeitung unter dem Titel »Die Möchtegern-Polizei aus Kreuzberg« Gewalt als politische Methode von Linken:

Die Verwendung der Methode Steckbrief durch den linken und rechten Untergrund offenbart, wie wenig diese Gruppen tatsächlich gegen die Macht haben, gegen die sie vermeintlich anrennen. Sie wollen sie lediglich an sich reißen. [F]ür die angeblich Linken, gar Anarchisten, ist solcher Steckbrief-Terror ein entlarvendes Zeugnis. Auch sie liebäugeln mit den Herrschaftsinstrumenten, obwohl sie doch vorgeben, diese prinzipiell zu bekämpfen. Von herrschaftsfreien Räumen reden die Berliner Autonomen gerne, ihre Praxis zeigt dagegen, wie sehnsüchtig sie von der Herrschaft träumen.

Freiheit gerade als Freiheit des Andersdenkenden ist eben doch primär ein liberales Prinzip. Toleranz mit Augustinus (»Gibt es denn einen schlimmeren Seelentod als die Freiheit des Irrtums?«) und Marcuse (»Das Telos der Toleranz ist Wahrheit.«) umzudeuten in repressive Toleranz, hat mit Freiheit nichts mehr zu tun.

(Zu einem ähnlichen Thema dieser Tage auch Jan Filter.)