Alles eins

Ich kann diese Relativismus-Kacke nicht mehr hören; Geschmäcker seien verschieden, jedem Tierchen seine Façon, Kunst im Auge des Betrachters. Das alles ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Das Schöne, Kunst, Ästhetik – das Positive ist in der Tat nicht zu werten und zu hierarchisieren. Klar, eindeutig, absolut und indiskutabel dagegen ist das Häßliche, der Kitsch, Schund. Wer dies bezweifelt, möge zur Weihnachtszeit die Dekoration eines sog. »gutbürgerlichen« Restaurants betrachten. Sapienti sat. (Auf der Liste der potentiellen Promotionsvorhaben: Gutbürgerlichkeit und Faschismus. Über die positive Korrelation von NSDAP-Wähleranteil und Mayonnaiseanteil im Kartoffelsalat)

Im Ghetto

Um nur fünf Minuten habe ich die Straßenbahn nach Karlsruhe verpaßt, und so mußte ich fast eine Stunde auf dem Heilbronner Hauptbahnhof verbringen, an einem Samstagabend.

Kaum hatte ich mich in der Bahnhofshalle hingesetzt, torkelte ein Betrunkener auf mich zu, setzte sich zu mir, packte eine Flasche Bier aus, öffnete sie mit den Zähnen und bot sie mir an. Ich konnte mich irgendwann doch nicht mehr entziehen, nahm einen Schluck, und dann unterhielten wir uns.

Und zwar auf Englisch. Der Kroate (als der er sich im Laufe des Gesprächs herausstellte) war nämlich fest davon überzeugt, daß ich Engländer sei. Und so fragte er mich über die Bezugsmöglichkeiten von Drogen in England aus. Hier in Deutschland sei das ja alles schwieriger, er habe fünf Jahre in Amsterdam gelebt, dort kommt man viel besser an Stoff. Und außerdem: »In Germany all Nazzis.« (sic!)

Mühsam überzeugt ich ihn, daß ich erstens Deutscher sei (und damit nichts über den englischen Drogenmarkt wisse), zweitens deshalb »no Nazzi« und drittens wir uns ja auf Deutsch unterhalten könnten.

Haben wir dann auch getan (mitterweile hatte ich seine jugendlichen Freunde, die alle sehr nach Bande aussahen, kennengelernt, und wider Erwarten für sehr höflich befunden); ungläubig: ob denn wenigstens meine Mutter aus England sei. Nein. Woher dann? Nähe Karlsruhe. Und mein Vater? Dito. Und ich? Dito, jedoch derzeit Freiburg. Ob ich damit allein wohne? Ja. Allein wohnen nicht gut. Familie wichtig. Und warum er dann hier in Heilbronn und nicht in Kroatien sei? »My mother kill me.« Aber ich wohne allein? Immer noch. Ob ich denn nicht einsam sei? Eigentlich nicht. Und wenn doch, wisse er, wo es hier in Heilbronn Frauen gebe. Billig.

Es folgen Auslassungen über die rassistischen (eben für ihn nicht:) Arbeitgeber in Deutschland, daß er wieder zu seinem Bruder nach Holland ziehen würde, und schließlich suche ich ihm heraus, wo sein Zug fährt (was er herauszufinden nicht mehr in der Lage war). Kurz vor der Abfahrt: Ob ich denn nicht bei ihm übernachten wolle. Er habe noch Schnaps und das mit den Nutten könne man ja auch wieder aufgreifen.

Ich lehne nach eher kurzer Bedenkzeit ab und setze mich wieder zurück. Dort sind mittlerweile zwei Jugendliche. Kurze Haare, Armeehosen. Ich packe meine Lektüre aus (Rawls, Theorie der Gerechtigkeit). Man beugt sich rüber (Suhrkamp, fällt mir da ein, ist ja eigentlich fast schon so gefährlich in dieser Situation wie ein Antifa-Aufnäher). »Was liest der da?« – »Irgendwas mit Gerechtigkeit.« Ich zeige den beiden den Titel. »Glauben Sie an Gerechtigkeit?« Was soll man da sagen, ich maneuvriere mich drumrum. Incipit der eine: »Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure/Als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz« (übrigens ein Slime-Zitat; ich glaube aber kaum, daß die beiden Klientel von Slime sind.)

Endlich: die Straßenbahn.

Wissenschaftliche Elite

Noch vor kurzem witzelte ich über »Heidegger ∧ ¬ Heidegger« – und dieser Tage wird ein Vortrag »Über das Gegenteil« annonciert. Was wäre das für eine Vortragsreihe gewesen …

Überhaupt: Das billige Wortspiel. Allein dafür und zu diesem Ende studieren wir Philosophie. »Laches und Sach-Geschichten mit der νοῦς und dem Ontofanten«, der Schnelle Teller in der Mensa (»Schnitzler mit Hobbes hesiod-weiß«). Wird fortgesetzt. Fortwährend.

Klassengesellschaft

Zu den interessantesten Gebieten der Soziologie gehört meines Erachtens die Richtung, die sich mit der Etikette auf dem Dorfe beschäftigt, insbesondere der feinziserlierten Theorie der Anrede.

Diese Woche wurde in unserem Pfarrblatt den Firmkatecheten gedankt. Dabei gibt es anscheinend drei Klassen:

  1. Personen sui iuris, die das Privileg haben, Frau oder Herr N.N. zu sein.
  2. Personen sui iuris partialiter, die zwar (noch) nicht das Epitheton ornans »Frau« oder »Mann« haben, dafür einen Vornamen.
  3. Personen sine iure, die nur als Anhängsel ihrer Eltern vorkommen: Frau N.N. und Tochter N.

(Meine Schwester ist zum Beispiel Klasse 2, und dann gibt es noch den interessanten Fall einer Dame, die per Klasse 1 angesprochen wird, deren Tochter per Klasse 3 erwähnt wird, deren Sohn es jedoch immerhin zu Klasse 2 gebracht hat.)

Wunderwelt Weltnetz

Man sagt ja, daß das Amt des Papstes doch recht anstrengend sei – aber daß es so schnell geht?

Bei eBay jedenfalls findet sich eine Auktion mit dem Titel P 06.05 [korrekt wäre wohl »P 265«] Papst Benedikt XVI. – leer –[aber immerhin:] superZustand !

Bei näherem Hinsehen geht es aber doch nur um eine Telephonkarte. Ich bin erleichtert. Auch nicht schlecht (und gleich bestellt): Papst-Benedikt-Projektionslampe

Das unentdeckte Land, die Zukunft

Herr Wasner hat geschafft, was viele andere nicht geschafft haben: Hier bricht die Zukunft aus.

Und zwar in Gestalt eines RSS-Feeds. Das heißt jetzt natürlich nicht, daß es etwa täglich Neues geben würde oder daß ich gar die bewährte Editionspraxis (eine Weile nichts hochladen, danach einen Stapel auf einmal) wesentlich ändern würde, geschweige denn, daß eine ordentliche Software installiert wäre – alles wird hier von einem provisorisch zusammengeschriebenen Skript gemacht.

Aber immerhin: RSS tut, und jeder Beitrag ist jetzt verlinkbar.

Als ich einmal ein Mobiltelephon besaß

Lange Zeit hatte ich kein Mobiltelephon, bestärkt von Umberto Eco, der täglichen Praxis und dem Luxus, auch mal nicht erreichbar zu sein. Nachdem eben das aber Lafontaine als Arroganz angekreidet wird (Spiegel, irgendwann) – was, zugegeben, kein Grund für mich ist und nur wg. name dropping hier steht – und ich außerdem technischen Spielkram mag, habe ich mir bei Freund eBay einen Nokia Communicator 9500 gekauft. Ja, richtig: das Klappding mit Funknetz. Ergebnis: 370 Euro weg, Hochtechnik mit Backsteinoptik da. Problem: Das Gerät ist völlig unsexy. Also: Bei eBay eingestellt, 450 Euro Sofortkauf, und tatsächlich: Obgleich man mit einfacher Marktbeobachtung dahinkommt, daß Auktionen spätestens bei 380 Euro enden, wird das Gerät innerhalb eines Tages sofortgekauft. Ich habe eine Marktlücke entdeckt. Und immer noch kein Mobiltelephon.