Nicht nur Rousseau

In der Zeit ist ein klug abwägender Kommentar von Jan Roß dazu, wie sich Bildungseliten herablassend über die ungebildete Masse äußern, und wie das gefährlich für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt ist. Der Autor differenziert, zeigt die Grenzen und Gefahren nicht durch Recht und individuelle Freiheit gebändigter Mehrheitsherrschaft auf, weist klar paternalistische Ansprüche auf Ausschlüsse als minderwertig (kulturell wie intellektuell) empfundener Gruppen aus dem partizipativen Prozeß zurück – und trotz allem Differenzieren fehlt mir doch etwas, weniger sachlich als auf der Ebene des Gefühls; mir ist da zuviel Einsatz für den Mehrheits-Aspekt der Demokratie und zu wenig Sympathie für den Freiheitsdrang Einzelner.
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Zahlen für journalistische Infrastruktur

Zeitung
Quelle: Sven Leichle, sven1506 (CC BY 2.0)
In letzter Zeit haben mich zwei journalistische Artikel in einer Zeitung sehr begeistert: Nils Minkmars Artikel »Grund zur Sorge« über die politische und soziale Großwetterlage und ihre Geschichte in Frankreich, und Wolfgang Günter Lerchs Artikel Osmans Wiederkehr über dasselbe in der Türkei.

Nun mag es sein, daß diese FAZ-Artikel zufällig genau das sind, was ich gerne lese (wahrscheinlich auch), und nichts, was über Journalismus überhaupt etwas aussagt. Bei beiden Artikeln habe ich aber etwas gedacht, was ich sonst selten denke: Dafür würde ich gerne zahlen. Ich glaube, daß dieser Impuls (wenn auch nicht allgemeingültig) interessant genug ist, um darüber zu schreiben, weil ich in meinem Mediennutzungsverhalten sehr viel gratis beziehe ohne diesen Impuls: Kostenlose kommerzielle Produkte (was Zeitungen und Zeitschriften online stellen), freie Produkte (vor allem Blogs), und viel in einem rechtlichen Dunkelgraubereich, von Musik auf Youtube bis zu amerikanischen Serien rechtlich zweifelhafter Bezugsquelle. Meine Zahlungsimpulse sonst reichen vom Flattr-Klick, wo das geht, bis hin zu schulterzuckendem »Pech gehabt«, wenn ich die neue Staffel The Good Wife (selbst wenn ich sie zahlen wollte) nicht bezahlen kann.
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Staat, Kirchen, Rechtsform?

In Baden-Württemberg sollen die Zeugen Jehovas nach Willen der Landesregierung nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Privilegien einer offiziell anerkannten und verfaßten Religionsgemeinschaft bekommen. Daß sie damit nicht steuerlich bessergestellt werden, daß sie keine Rundfunk-Sendezeit eingeräumt bekommen, daß sie nicht in Rundfunkräte kommen, ist mir durchaus sympathisch – Sympathie ist aber im Verhältnis zum Staat keine gute Richtschnur.

Die Begründung der Landesregierung jedenfalls zeigt, daß das Konstrukt KdÖR im Staatskirchenrecht (und die damit verbundenen Privilegien) als Organisationsform grundsätzlich problematisch ist.
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… jedes ß ein Protest gegen die Hybris staatlicher Allzuständigkeit

Auf Formspring.me wurde ich gefragt, warum ich in alter Rechtschreibung schreibe. Da das etwas länger ist, landet die Antwort hier im Blog.

Ich schreibe nicht nach alter Rechtschreibung, jedenfalls nicht in strenger Obödianz des Altschreib-Dudens letzter Hand (das ist die 20. Auflage von 1991 – habe ich schon mal erwähnt, daß ich Rechtschreibduden sammle?). Wenn ich vorgebe, nach Regelwerk zu schreiben, dann verweise ich auf den Ickler – Normale deutsche Rechtschreibung. (Und damit meine Rechtschreibung nicht deformiert wird, wende ich, wo neue verlangt wird, einfach die neue ß-Regelung an. Merkt niemand.)

Dahinter stecken zwei Gründe: Es ist mir zuwider, wenn staatliche Macht in die gesellschaftliche Sphäre übergriffig wird. Es ist schlicht nicht in der Kompetenz des Staats, die Rechtschreibung zu regeln. Und ich halte eine nach gewachsenen ästhetischen Regeln normierte Sprache (bzw. ihre Verschriftlichung) für der Sprache angemessener als eine am Reißbrett erfundene Planorthographie.
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Thatcher zitieren

Muß man Margaret Thatcher immer falsch zitieren, Herr Meyer?

Und auch sonst: was das sein soll, lechts und rinks, verstehe ich immer weniger; was »ultrarechts« sein soll (außer einer pauschalen Diffamierung), schon gar nicht. (Hayek? Friedman? Bitte!)

Wenn Sie aber schon Kennedy abgewandelt zitieren, dann sollten Sie doch wenigstens kenntlich machen, wenn Sie Thatcher verkürzt zitieren. Das vollständige Zitat lautet nämlich so: »They are casting their problems at society. And, you know, there’s no such thing as society. There are individual men and women and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look after themselves first. It is our duty to look after ourselves and then, also, to look after our neighbours.« Das ist mir weit sympathischer als ein Kennedy, der in der Ursprungsversion (Sie gestatten mir ein ähnlich selektives Zitieren, wie Sie es mit Thatcher machen) des von Ihnen angespielten Zitats fordert, das Land und den Dienst daran in den Mittelpunkt zu stellen.