Sorgerecht: Eltern vs. Staat

Laura Dekker, 13, will allein den Atlantik überqueren. Ihre Eltern wollen ihr das erlauben, der niederländische Staat in Gestalt u.a. des Utrechter Familiengerichts nicht. Dekkers Eltern wurde partiell das Sorgerecht entzogen, sie wird zwei Monate amtspsychologisch beobachtet, ob sie reif genug für ihr Vorhaben ist.

Heribert Prantl kommentiert das in der Süddeutschen: »Kinder brauchen Abenteuer«, aber bitte nicht dieses, das die Eltern vernünftigerweise zu verbieten hätten, im übrigen sorgt sich der Staat nur um das Kindeswohl – durchaus nachvollziehbar.

Prantl betont, daß er den Staat nicht an die Stelle der Eltern setzen will und plädiert für staatliche Eingriffe ins Sorgerecht mit Augenmaß und nur im äußersten Fall. Ein Satz paßt da aber nicht recht dazu:

Das Elternrecht, wie es in den Verfassungen fast aller Staaten garantiert wird, beruht auf dem Grundsatz, dass in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution.

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Netzneutralität aus ordnungspolitischer Sicht

Die Debatte um Netzneutralität, also die unterschiedslose, ungefilterte Weiterleitung des Netzverkehrs durch die Provider, konzentriert sich auf technische und normative Fragen.

Die technischen Aspekte interessieren mich weniger: Deep Packet Inspection funktioniert, entsprechende Infrastrukturen sind aufgebaut und von den Providern und Lobbyisten gewollt.

Die normativen Aspekte greifen oft reichlich kurz und beschränken sich darauf, einerseits den Nutzen für die Kunden zu betonen oder andererseits die Notwendigkeit eines ungefilterten Internetzugangs zu betonen. Die Befürworter von Netzneutralität betonen die Notwendigkeit staatlicher Regulierung, die Gegner wollen filterndes Routing erlauben. Die erste Position geht von einer verbreiteten, aber zu wenig hinterfragten Grundlage aus: Daß der Staat hier eine legitime Regelungskompetenz hat. Nicht diskutiert wird, mit welcher Legitimation, auf welcher Ermächtigungsgrundlage der Staat so etwas regeln kann. Hinterfragt man das nicht, muß als unausgesprochene Annahme stehen, daß der Staat grundsätzlich umfassende Regelungskompetenz hat. Das ist aus einer ordnungspolitischen Sicht nicht tragbar, in der dem Staat klare Grenzen für Eingriffe in die freien Vertragsverhandlungen der Bürger gesetzt sind.
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Der Buchstabe tötet

In der aktuellen FAZ (Nr. 194, S. 10) kommentiert G.H. unter dem possierlichen Titel »Mützenfanatismus« die Kopftuchdebatte: Sollen Lehrerinnen Kopftücher tragen dürfen? Für G.H. ist die Sache klar:

Wer aus religiösen Gründen staatliche Gesetze missachtet – ein Schnippchen schlagen wollen ist schon eine Form der Missachtung –, zeigt Anzeichen von Fanatismus und ist als staatlich besoldetes Vorbild für Kinder ungeeignet.

So einfach ist das. Im fraglichen Fall geht es um die Lehrerin, die statt eines Kopftuchs eine Mütze tragen wollte. Die praktischen Probleme eines säkular motivierten Mützenverbots sind schon kompliziert genug. Vom Grace-Kelly-Kopftuch über Baseballmützen zu Habit, Kippa und Perücke gibt es einen breitestmöglichen Graubereich, um nur die Kopfbedeckung anzusprechen (und nicht von Paris-Hilton-Kreuzen und Knasttätowierungen anzufangen).

Das eigentliche Problem ist der völlig naive Rechtspositivismus, der nicht einmal eine schiefe Ebene zugestehen will, sondern gleich den theokratischen Abgrund herbeibeschwört.

Ist es denn immer verkehrt, »aus religiösen Gründen staatliche Gesetze zu mißachten«? (Und ausdrücklich: im legitimen Rechtsstaat!) Schönbohm beschwört gerade die Rechristianisierung des Ostens, mit genuin staatstragender Motivation. Wer so etwas ernsthaft fordert, der muß auch mit dem subversiven Potential eines vom rechtlichen erstmal unabhängigen Systems klarkommen. Was würde der Kommentator zu Kirchenasyl sagen? Ist damit jeglicher ziviler Ungehorsam desavouiert? (Oder nur dann, wenn er religiös motiviert ist?)
Das Problem einer solchen kategorischen Sicht, die gleich alles unter einen Fanatismusverdacht stellt, ist ihr rechtspositivistischer Fanatismus: Dem Gesetz wird grundsätzlich eine umfassende Gültigkeit und eine umfassende Legitimität zugesprochen nicht nur im Kernbereich, sondern auch in seiner Peripherie; wo es Graubereiche gibt, werden die nicht zugunsten des in seiner Handlungsfreiheit Eingeschränkten ausgelegt, sondern möglichst maximiert. Das ignoriert, daß das Leben komplexer ist als das Recht. Das will eine umfassende Regelung, aus Angst davor, daß eine differenzierende Regelung nicht alles abdeckt, was potentiell unerwünscht sein kann.

Im Strafrecht gibt es das Analogieverbot: Was nicht explizit geregelt ist, darf nicht über andere Straftatbestände abgedeckt werden. Hier macht man es sich einfach: »Ich erkenne Pornographie, wenn ich sie sehe.« G.H. konstruiert gerade den Bereich der Religionsausübung (speziell der muslimischen?) als einen potentiell gefährlichen. In der Tat ist dieser Bereich heikel, weil offenkundig verschiedene Grundsätze des legitimen Rechtsstaats aufeinanderprallen. Die Konsequenz daraus sollte aber keine umfassende Daumenregel sein, sondern ein peinlichst befolgtes Bestimmtheitsgebot. G.H. schließt seinen Kommentar so:

»Wehret den Anfängen« ist guter rechtsstaatlicher Grundsatz.

Allerdings.

Arme Staats-Kirche

Trennung von Kirche und Staat ist gar nicht so einfach, wie es scheint. Eine völlige Trennung will man staatlicher- wie kirchlicherseits nicht, weil man seine jeweiligen normativen Einflußmöglichkeiten behalten will. Natürlich muß sich die Kirche politisch zu Wort melden; das gehört zu ihrem Weltgestaltungsauftrag der Reich-Gottes-Botschaft. Umgekehrt ist es schwieriger: Die Politik hat notwendigerweise Kompetenzkompetenz, selbst da, wo sie anerkennt, daß Politik nur ein Bereich ist, der keinesfalls total sein darf: Was politisch ist, kann nur politisch entschieden werden.
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Verfahrene Verfahren

Kommt es nur mir so vor, oder verludern in letzter Zeit die politischen Sitten immer mehr?

All das sind Beispiele für aktuelles politisches Geschehen, das sich nicht um korrekte Verfahren bemüht. Und das zu einer Zeit, in der das Märchen vom rechtsfreien Raum Internet fröhliche Urständ feiert. Während im Internet angeblich zu wenig Recht und Ordnung herrscht, scheren die, die das beklagen, sich selbst wenig darum.
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Idiosynkrasie, Blasphemie und Theodizee

Ich bin ja nun kein Islamwissenschaftler. Dennoch halte ich es für hinreichend sicher, daß die Behauptung, der Prophet Mohammed verstünde von Fußball nichts, durchaus historisch tragfähig ist. Und doch führt das Schalker Vereinslied Blau und Weiß, wie lieb ich Dich gerade zu einer hitzigen Feuilleton-Diskussion ob der dritten Strophe:

Mohammed war ein Prophet
Der vom Fußballspielen nichts versteht
Doch aus all der schönen Farbenpracht
Hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht

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