Kunst kämpft um Anerkennung

Erst jetzt der Hinweis auf einen hervorragenden Text von Thierry Chervel im Perlentaucher zur Urheberrechts-Debatte im Literaturbetrieb: Die schöne Seite der Kostenlosmentalität.

Chervel analysiert klug den seltsamen Sachverhalt, daß ausgerechnet die noch am wenigsten betroffenen Urheber_innen aus der Literatur jetzt so lautstark aufschreien:

Das Problem dieser Autoren mit dem Netz ist weniger, dass es ihre Einnahmen als dass es ihr Selbstbild als Autor in Frage stellt.

Chervel spinnt das ein wenig polemisch (aber wohl zutreffend) weiter; der Literaturbetrieb verweigere sich dem Netz, neue Formen des Schreibens würden nicht ergriffen. Das Zitat enthält darüber hinaus eine sehr kluge Betrachtung: Urheberrecht hat im Begriff schon die Überhöhung angelegt – und die heftigen Reaktionen, die Urheberrechtsdebatten hervorrufen, haben ihren Grund im Auseinanderklaffen von idealisiertem Künstlerselbstbild und ökonomischer Realität.

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Kasseler Hegemonialkunst

In Kassel sorgt ein Guerilla-Kunstwerk (das so guerilla gar nicht ist) für Aufsehen: Auf dem Turm der St.-Elisabeth-Kirche steht eine Skulptur von Stephan Balkenhol, eine Figur mit ausgebreiteten Armen – und das während des Hochamts. Dem kulturellen Hochamt, der documenta 13, und die Leiterin ist tief erschüttert von dieser ungenehmigten Kunst. »Schockiert«, »traurigstes Erlebnis«, »gewaltsam« sind Zitatfetzen aus dem Artikel der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine.

Die Argumentationsfigur in etwa: Wenn in Kassel während der Documenta Kunst passiert, dann wird das von der Documenta veranstaltet. (Da könnte ja jeder kommen.) Die Installation auf dem Kirchturm zerstört »gewaltsam« das Konzept des Friedrichsplatzes, der die »ökologische Perspektive« der Documenta repräsentieren solle. Und da passe eine Installation, die prominent einen Menschen darstellt, nicht dazu: »Es wird hier keine künstlerische Repräsentation des Menschen geben«, kommentiert die Leiterin der Documenta Carolyn Christov-Bakargiev.

Mehrere Aspekte befremden mich an diesem Vorgang:
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Sigint 2010: Urheberrecht, Eigentum und Kunst

Auf der Sigint 2010 habe ich den Einführungsvortrag zum Panel Kommunismus oder Kommunitarismus? Voraussetzungen für und Anforderungen an ein Neues Urheberrecht gehalten. Hier der ausformulierte Vortrag und die Folien zum Download.

Um das Problem des gegenwärtigen Urheberrechts auf die Spitze zu treiben behandle ich zwei Begriffe: Eigentum und Kunst.

Das Thema Eigentum gehe ich aus einer liberalen Perspektive an; nicht nur, weil das die Denkschule ist, mit der ich vertraut bin, sondern auch aus einer politischen Notwendigkeit: Mit einer »linken« Argumentation läßt sich eine »Vergesellschaftung geistigen Eigentums« leicht begründen. (Zu unterschiedlichen Begründungs- und Kritikstrategien »geistigen Eigentums« mein Artikel »Digitalkommunismus oder liberale Avantgarde«) Es gilt, FDP und CDU zu überzeugen. (Bei einer nominell christlichen Partei wie der CDU ließe sich auch noch in der Tradition der christlichen Sozialethik argumentieren und, will man am Begriff »geistiges Eigentum« festhalten, dessen Sozialpflichtigkeit betonen. Mit der Rezeption »christlicher« Netz- und Urheberrechtspolitikansätze ist es aber in der CDU nicht weit her. Vergleiche dazu meinen Artikel /»netzpolitik.va – was die CDU vom Vatikan lernen kann«)

Das Thema Kunst habe ich gewählt, weil sich am Beispiel der Kunst alle Fragen, die auch im Alltag auftreten, radikalisieren lassen. Die »bloße« Reproduktion und Kopie eines Werks scheint intuitiv »falsch« zu sein, die Frage wird aber komplexer, wenn man die Werke etwa von Andy Warhol und Marcel Duchamps betrachtet. Kunst hinterfragt scheinbar einfache Konzepte wie »Schöpfungshöhe« und »Urheber«. Freiheit der Kunst ist eine radikalisierte Form demokratischer Offenheit.
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Bushido, der Tod des Autors und seine Auferstehung

Auch wenn’s den Richtigen trifft: Das Urteil gegen Bushidos Samplingpraxis zeigt wieder einmal die Differenz zwischen Recht und Kunst, und wie das Recht die Kunst behindert und formt.

Die Reaktionen sind erwartungsgemäß einhellig schadenfroh, nachdem Bushido sich mit aggresivem Verfolgen seiner Rechte durch Abmahnungen unbeliebt gemacht hat – derselbe Bushido, der sich damit brüstet, im Bedarfsfall gerne auch mal Uhren zu klauen. Immer wieder ist auch zu lesen, daß Bushido ja ohnehin ein minderwertiger Künstler sei.

Und richtig: Bushido ist kein Grandmaster Flash. Bushido könnte aber auch gar kein Grandmaster Flash sein: Hiphop, wie er entstanden ist, ist aufgrund der immer restriktiver verregelten Ideologie vom absoluten geistigen Eigentum nicht mehr möglich.
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Urheberrecht als künstlerischer Bankrott

Die »Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums« ist eine Nebelkerze. Vordergründig geht es um das Gute, Wahre und Schöne: Um die Rettung echter Kunst vor einem zerstörerischen Sturm aus Plagiaten, Epigonen und Raubkopien. Tatsächlich ist die Erklärung ein künstlerischer Offenbarungseid: Die unterzeichnenden Autoren machen sich stark für ein allzu einfaches Kunstverständnis, das in erster Linie den Verlegern dient.

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Alles eins

Ich kann diese Relativismus-Kacke nicht mehr hören; Geschmäcker seien verschieden, jedem Tierchen seine Façon, Kunst im Auge des Betrachters. Das alles ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Das Schöne, Kunst, Ästhetik – das Positive ist in der Tat nicht zu werten und zu hierarchisieren. Klar, eindeutig, absolut und indiskutabel dagegen ist das Häßliche, der Kitsch, Schund. Wer dies bezweifelt, möge zur Weihnachtszeit die Dekoration eines sog. »gutbürgerlichen« Restaurants betrachten. Sapienti sat. (Auf der Liste der potentiellen Promotionsvorhaben: Gutbürgerlichkeit und Faschismus. Über die positive Korrelation von NSDAP-Wähleranteil und Mayonnaiseanteil im Kartoffelsalat)

»Documenta11«

Ich war also auf der Documenta11. (Ohne Zwischenraum; man beachte die von dem Typosophen Ecke Bonk gestaltete Wortmarke!) Zur Vorbereitung habe ich wenig getan, wenn man vom Durcharbeiten von zwei Dritteln des Kurzführers absieht, im Nachhinein dann habe ich doch einiges noch mal nachgelesen. Zum Beispiel über Ecke Bonk. Ecke Bonk ist Typosoph. Ecke Bonk hat die Beschriftung der Space-Shuttles designt.

Ecke Bonk hat die Wortmarke Documenta11 gestaltet (sic!).

Wiederhole ich mich?

Das schönste Erlebnis: bei der Installation von Yona Friedman war ein Teil auf den Boden gefallen. Friedman arbeitet mit Kunststoff, das Exponat schien mir hinreichend unkaputtbar, die Anordnung auf den Tischen (Plexiglasscheiben auf Steinen) schien mir hinreichend aleatorisch. Auf die Frage an die werte Wärterin dann, ob das nicht besser wieder zurück auf den Sockel solle, die Antwort: man wart auf den Restaurator.

Ich bin ja ein großer Freund von dekadenter Bohème. Aber hätte man nicht einfach das Ding wieder hinstellen können?

Ansonsten auch eine positive Bilanz: ich bin nun stolzer Besitzer zweier DDR-Miniatur-Kunstdruck-Bände, einmal zum 60sten Jahrestag der Oktoberrevolution, einmal zum 40sten Tag des Friedens, jeweils mit einem einführenden Artikel in staatstragendem Pathos und ansonsten Plakaten zum Thema, die seltsamerweise auch nicht mal handflächengroß wirken.