Niebel? Entwicklung? Gar nicht mal so doof

Die kurioseste Personalie im neuen Kabinett ist Dirk Niebel als Minister im Entwicklungshilfeministerium (BMZ), das die FDP eigentlich (nach Beschlußlage von 2007) abschaffen wollte. Diese Entscheidung wird überwiegend kritisch bis entsetzt kommentiert (keine Links, Google genügt). Natürlich, ist ja die böse FDP.

Man kann die Personalie allein unter dem Machtaspekt diskutieren. Man kann die Personalie aber auch ernstnehmen: Als große Chance für die deutsche Entwicklungspolitik.
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Die EU-Maultasche kolonialisiert die Lebenswelt

Die Schwäbische (Suppen-)Maultasche ist nun offiziell als regionale Spezialität unter den Schutz der EU gestellt. Die Presse feiert das einhellig, gemeinsam mit dem baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium. Dabei ist der Sachverhalt hochproblematisch: Nicht nur der schwäbische Imperialismus, der überall mitklingt, auch eine zweifelhafte Ausweitung von künstlich geschaffenen Exklusivrechten und die Mentalität, die daraus spricht, sollte hinterfragt werden.
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Jugendschutz, Familie und Paternalismus

Kann man seinen Willen nicht direkt anderen aufzwingen, weil die Einmischung in anderer Leute Angelegenheiten gar zu unverfroren wirkt, gibt es ein Patentrezept: Die Familie und ihr Schutz. Ein besonders apartes Beispiel gab es vor 30 Jahren im Spiegel zu bewundern anläßlich der Diskussion um die Genehmigung von Privatfernsehen:

Justizminister Vogel hat eine mögliche Verfassungsänderung schon vorbedacht. Seiner Ansicht nach ist die nach Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Informationsfreiheit „eingeschränkt“ durch den Artikel 6, der die Familie schützt. Vogel: „Wir können doch nicht zulassen, daß durch Informationsüberflutung die Privatheit der Familie zerstört wird.“ (Der Spiegel 40/1979 vom 1. 10. 1979, Seite 21, via Holgi)

Diese Argumentation ist freilich besonders perfide: Um die Privatheit der Familie zu schützen, mischt man sich in ihre Angelegenheit ein.
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Bildung statt Schulpflicht

Spiegel online hat vor kurzem über einen Mann berichtet, der ohne Abitur und abgeschlossenes Medizinstudium als Chirurg praktiziert hat. Die Deutung der Autorin:

[…] E.s Geschichte ist nicht nur die Geschichte eines Kriminellen, sondern auch die Geschichte eines Systems, das nicht genau hinschaut.

Das reicht zu kurz. Die Deutung bleibt oberflächlich. Simone Utler liefert ein Psychogramm eines zwar klugen, aber geltungssüchtigen Scharlatans ab. Das System wird hingenommen statt hinterfragt, das Problem ist nicht das System, sondern daß das System nicht konsequent genug agiert. Die wirklichen Fragen, die der Fall aufwirft, werden nicht angegangen: Die Undurchlässigkeit des Bildungssystems, das Problematische am Zwang zur formalen Bildung. Aber wir sind ja im Ressort »Panorama« …
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So einfach ist das?

Wenn man sich als liberal outet, nicht nur als links- oder bürgerrechtsliberal, sondern wirtschaftsliberal, dann ist das tatsächlich ein Outing: Wie kann man denn nur, und in Afrika verhungern Kinder, und der kleine Mann – man muß nur Twitter, Facebook, die Presse verfolgen, um den Eindruck zu erhalten, die FDP, oder auch der »Neoliberalismus« (nehmen wir den Begriff mal nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung, sondern in der Attac-Grusel-Vokabular-Variante), sei der leibhaftige Gottseibeiuns. (Nicht daß die Klientelpartei FDP das beste Beispiel für Wirtschaftsliberalismus wäre; im Parteienspektrum sind sie aber immer noch die liberalste Variante der Sozialdemokratie, die Deutschland zu bieten hat.)

Der häufigste Vorwurf, den ich höre, wenn ich für eine freie Marktwirtschaft plädiere: Du machst es Dir zu einfach! Einfach alles liberalisieren, und es läuft von allein? Adam Smiths unsichtbare Zauberhand hat nicht viel Kredit. Macht es sich der Liberalismus zu einfach? Oder macht es sich eine politische Sicht zu einfach, die glaubt, man könne so einfach eine Gesellschaft planen? Einfach guten Willen in Politik umsetzen?
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Ach, FDP …

Guido Westerwelle hat mir eine Postkarte geschickt. Danke, Guido, wäre nicht nötig gewesen, ich wähle euch ohnehin. (Gründe dafür findet man bei Jan Filter im Blog.) Aber wieder habe ich mir gedacht: Ach, FDP, so doch nicht!

Warum muß die FDP schon optisch wie aus den tiefsten 80ern auftreten? Wen will man denn mit dem Mantra »Arbeit muß sich wieder lohnen« hinter dem Ofen herholen? Überhaupt, die Außenwirkung. Der lieblose Auftritt meines Kreisverbandes (»mein« ist hier ein exklusives wir – ich bin in keiner Partei Mitglied) spricht für sich. Warum wirkt das alles so bräsig? Wo ist denn da die Begeisterung für die Freiheit? 15 % hält man nicht mit schwäbischen Honoratioren allein.
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Digitalkommunismus oder liberale Avantgarde?

Thomas vom Blog Linkswahl hat in einem Kommentar zu meinem Artikel Piraten als radikale Zentristen angemerkt, daß die Haltung der Piraten in Sachen Urheberrecht, Patente und Informationsgesellschaft eher links einzuordnen sei. (Ausführlich in seinem Blog.) Meine Antwort hier nochmal als eigenständiger Artikel, da es doch ein wenig länger geworden ist.

Man kann die Position der Piraten zu Urheberrechten, Patenten und Informationssystem natürlich als egalitär und damit links einordnen, wenn man von »Vergesellschaftung« von Wissen spricht – »digitaler Kommunismus« habe ich auch schon gelesen. Allerdings kommt bei den ganzen Digitalien noch dazu, daß sie strukturell völlig anders sind als klassisches Eigentum: Nämlich beliebig kopierbar und damit nicht der Knappheit unterworfen.
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Sorgerecht: Eltern vs. Staat

Laura Dekker, 13, will allein den Atlantik überqueren. Ihre Eltern wollen ihr das erlauben, der niederländische Staat in Gestalt u.a. des Utrechter Familiengerichts nicht. Dekkers Eltern wurde partiell das Sorgerecht entzogen, sie wird zwei Monate amtspsychologisch beobachtet, ob sie reif genug für ihr Vorhaben ist.

Heribert Prantl kommentiert das in der Süddeutschen: »Kinder brauchen Abenteuer«, aber bitte nicht dieses, das die Eltern vernünftigerweise zu verbieten hätten, im übrigen sorgt sich der Staat nur um das Kindeswohl – durchaus nachvollziehbar.

Prantl betont, daß er den Staat nicht an die Stelle der Eltern setzen will und plädiert für staatliche Eingriffe ins Sorgerecht mit Augenmaß und nur im äußersten Fall. Ein Satz paßt da aber nicht recht dazu:

Das Elternrecht, wie es in den Verfassungen fast aller Staaten garantiert wird, beruht auf dem Grundsatz, dass in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution.

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Netzneutralität aus ordnungspolitischer Sicht

Die Debatte um Netzneutralität, also die unterschiedslose, ungefilterte Weiterleitung des Netzverkehrs durch die Provider, konzentriert sich auf technische und normative Fragen.

Die technischen Aspekte interessieren mich weniger: Deep Packet Inspection funktioniert, entsprechende Infrastrukturen sind aufgebaut und von den Providern und Lobbyisten gewollt.

Die normativen Aspekte greifen oft reichlich kurz und beschränken sich darauf, einerseits den Nutzen für die Kunden zu betonen oder andererseits die Notwendigkeit eines ungefilterten Internetzugangs zu betonen. Die Befürworter von Netzneutralität betonen die Notwendigkeit staatlicher Regulierung, die Gegner wollen filterndes Routing erlauben. Die erste Position geht von einer verbreiteten, aber zu wenig hinterfragten Grundlage aus: Daß der Staat hier eine legitime Regelungskompetenz hat. Nicht diskutiert wird, mit welcher Legitimation, auf welcher Ermächtigungsgrundlage der Staat so etwas regeln kann. Hinterfragt man das nicht, muß als unausgesprochene Annahme stehen, daß der Staat grundsätzlich umfassende Regelungskompetenz hat. Das ist aus einer ordnungspolitischen Sicht nicht tragbar, in der dem Staat klare Grenzen für Eingriffe in die freien Vertragsverhandlungen der Bürger gesetzt sind.
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Piraten: Metapartei statt Einthemenpartei?

Die Piratenpartei will sich nicht ins klassische Links-Rechts-Schema einsortieren. Gut so. Das Programm der Piraten beschränkt sich daher weitgehend auf Politikfelder, die sich im Bereich Freiheitsrechte und Urheberrecht bewegen, allein Bildung wird als weiteres klassisches Politikfeld behandelt. Ein gängiger Vorwurf ist so zwangsläufig, eine Einthemenpartei ohne Vollprogramm zu sein. Die Präambel des Parteiprogramms dazu:

Die Piratenpartei will sich auf die im Programm genannten Themen konzentrieren, da wir nur so die Möglichkeit sehen, diese wichtigen Forderungen in Zukunft durchzusetzen.

Dennoch: Wie man an der Bildung sieht, können weitere Themen jederzeit aufgnenommen werden. Im Piratenwiki herrscht eine rege Diskussion dazu. Wenn man ein wenig die Vorschläge durchblättert, sieht man, wie sinnvoll die Beschränkung ist: Da gibt es sehr liberale Positionen (Abschaffung der Landwirtschaftspolitik, Legalisierung aller Drogen), paternalistische (Rauchverbot), linke (Kostenloser öffentlicher Nahverkehr) und so weiter. Jeder Vorschlag wird kontrovers diskutiert – die Piratenpartei ist in ihrem Wiki eine sehr plurale Partei (wenn mir auch bei vielem ein linksliberaler Generalbaß durchzuklingen scheint). Wirtschaftliche Konzepte sind von bieder-liberal bis hin zu grenzgenialer Do-it-your-self-Welterklärung.
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