Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch

Formspring fragt mal wieder: »Glaubst du die ausufernden Kontrollversuche durch den Staat können abgewehrt werden? Hast du Angst vor der Zukunft?«

Weder mit Zukunftsangst noch mit der Verklärung von Vergangenheit kann ich etwas anfangen.

Ich stimme zu: Das Maß staatlicher Kontrolle und Bevormundung sieht man beständig steigen, für jede gewonnene Verfassungsbeschwerde taucht ein neuer ACTA-Vertrag, ein neuer Jugendmedienschutzstaatsvertrag, eine neue Zensurinfrastruktur auf. Musikindustrie, Verleger und Politik machen sich wechselweise zu nützlichen Idioten, um ihre jeweiligen Ziele zulasten der Freiheit zu verfolgen. Zu viele flüchten in die wohlige Illusion scheinbarer Sicherheit, die mit Paternalismus und Kontrolle erkauft wird.

Aber trotzdem: Wir haben ein relativ robustes System mit klaren, durch das Grundgesetz vorgegebenen Schranken und ein starkes Verfassungsgericht, das Grundrechte schützt und zumindest die schlimmsten Exzesse wieder kassiert. (Nicht, daß das gerade noch erlaubte Maß nicht schon schlimm genug wäre.) Es ist ja nicht so, daß wir etwa erst noch für gleiches Wahlrecht kämpfen müßten; wir sind in der komfortablen Situation, schon verbriefte Freiheiten zu verteidigen.

Bei vielem, was jetzt kritisiert wird und zum schlimmen Gesamteindruck beiträgt, glaube ich nicht, daß es schlimmer wird. Glaubt wirklich jemand, daß die Polizeigewalt steigt? Als ob es früher sanfter zugegangen wäre, wenn der vermummte und uniformierte Korpsgeist aufmarschiert ist. Als ob es früher nicht willkürliche Hausdurchsuchungen gegeben hätte. Als ob früher nicht jede Möglichkeit ergriffen worden wäre, Macht und Kontrolle auszubauen! Macht hat schon immer korrumpiert (Lord Acton) und alle irgendwie Herrschenden und Befehlenden waren schon immer Schufte (Arno Schmidt).

Nein, die Sichtbarkeit steigt: Nicht mehr nur Privilegierte können sich wehren, jeder kann bloggen und damit Öffentlichkeit erzeugen. Diese Sichtbarkeit ermöglicht ganz neue Formen von Widerstand und Koordination. Verhindern kann man das nur durch totalitäre Maßnahmen, und selbst dann glaube ich, daß es nicht möglich ist, die Öffentlichkeit ganz zu zerstören, selbst dann geht der Geist der Freiheit nicht mehr zurück in die Flasche.

Niemand hat behauptet, daß Freiheit von allein weiterbestehen würde: »Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit.« Politik mit ihrer Kompetenzkompetenz tendiert immer zu mehr Kontrolle und mehr Regelung, und der 11. September mag ein Katalysator gewesen sein, daß das jetzt konsensfähiger und einfacher durchzusetzen wird. Aber gleichzeitig wächst auch die Sichtbarkeit dieser Maßnahmen, und gleichzeitig wachsen die Möglichkeiten, Widerstand und Mißtrauen gegen den Staat zu koordinieren: Die zunehmende Vernetzung sorgt für mehr Möglichkeiten der Überwachung, aber auch für mehr Möglichkeiten, Überwachung zu umgehen und sich zu koodinieren. Mit Hölderlin habe ich keine Angst vor der Zukunft: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

Polemisches Ratespiel

Ein Rätsel zum Wochenende:

Ich kenne Menschen, die unendlich viel „lesen“, und zwar Buch für Buch, Buchstaben um Buchstaben, und die ich doch nicht als „belesen“ bezeichnen möchte. Sie besitzen freilich eine Unmenge von „Wissen“, allein ihr Gehirn versteht nicht, eine Einteilung und Registratur dieses in sich aufgenommenen Materials durchzuführen. Es fehlt ihnen die Kunst, im Buche das für sie Wertvolle vom Wertlosen zu sondern, das eine dann im Kopfe zu behalten für immer, das andere, wenn möglich, gar nicht zu sehen, auf jeden Fall aber nicht als zwecklosen Ballast mitzuschleppen.

Von wem stammt diese Definition richtigen Lesens?

  1. Jaron Lanier
  2. Frank Schirrmacher
  3. Susanne Gaschke
  4. jemand ganz anderem

Die Lösung gibt es in den Kommentaren.

… jedes ß ein Protest gegen die Hybris staatlicher Allzuständigkeit

Auf Formspring.me wurde ich gefragt, warum ich in alter Rechtschreibung schreibe. Da das etwas länger ist, landet die Antwort hier im Blog.

Ich schreibe nicht nach alter Rechtschreibung, jedenfalls nicht in strenger Obödianz des Altschreib-Dudens letzter Hand (das ist die 20. Auflage von 1991 – habe ich schon mal erwähnt, daß ich Rechtschreibduden sammle?). Wenn ich vorgebe, nach Regelwerk zu schreiben, dann verweise ich auf den Ickler – Normale deutsche Rechtschreibung. (Und damit meine Rechtschreibung nicht deformiert wird, wende ich, wo neue verlangt wird, einfach die neue ß-Regelung an. Merkt niemand.)

Dahinter stecken zwei Gründe: Es ist mir zuwider, wenn staatliche Macht in die gesellschaftliche Sphäre übergriffig wird. Es ist schlicht nicht in der Kompetenz des Staats, die Rechtschreibung zu regeln. Und ich halte eine nach gewachsenen ästhetischen Regeln normierte Sprache (bzw. ihre Verschriftlichung) für der Sprache angemessener als eine am Reißbrett erfundene Planorthographie.
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Non assumptum, non sanatum: Zu Sex and the City II

Gestern habe ich »Sex and the City II« gesehen. Den Film einfach als flach, sexistisch und kulturell unsensibel, mindestens aber als nicht feministisch abzutun, reicht nicht weit genug. Drüben bei Gay West nimmt Adrian diese einfachen Interpretationen sehr treffend auseinander, und ich kann seiner Schlußfolgerung nur zustimmen. (Auch wenn mir Markus Zierke ziemlich egal ist; schon zu Serienzeiten war ich immer für Aidan – was allerdings auch an meiner verkorksten postmateriellen Sozialisation liegen mag.)

Es ist nämlich nicht so einfach. Einfach einen Feminismus als politisch korrekte Leitkultur aus dem bunten Strauß aus Feminismen auszuwählen, dessen Einstellung zu Sexualität, dessen Ästhetik, dessen Moral, dessen Moral der Ästhetik und dessen Ästhetik der Moral als Maß zu nehmen: Das muß scheitern. Zwischen Burka und Porno gibt es keine gesunde und objektiv bestimmbare Mitte.

Darum geht es nämlich eigentlich in diesem Film, und mir scheint das sehr gelungen zu sein.
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Der Öffentlichkeit nicht den Boden entziehen. Anforderungen an ein neues Urheberrecht

Das Sigint-Panel zum Thema Urheberrecht (meine Einführung dazu hier) hätte der Ausschreibung nach lösungsorientiert sein sollen, und das ist grandios gescheitert. Man kann nicht zu Lösungen kommen, wenn eine Partei (hier waren es der Vertreter der Musikindustrie und der exemplarische Künstler) das Problem leugnet. Für eine lösungsorientierte Diskussion des Themas Urheberrecht darf man nicht beim Geld anfangen. Man muß beim zu schützenden Rechtsgut anfangen – und das ist nicht das ökonomische Interesse, das ein fiktives »geistiges Eigentum« kodifiziert und durchgesetzt sehen will. Es ist das Interesse an einer funktionierenden öffentlichen Sphäre.

Die Diskussion über Geld, Leistung und Geschäftsmodelle ist nachgelagert.
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Sigint 2010: Urheberrecht, Eigentum und Kunst

Auf der Sigint 2010 habe ich den Einführungsvortrag zum Panel Kommunismus oder Kommunitarismus? Voraussetzungen für und Anforderungen an ein Neues Urheberrecht gehalten. Hier der ausformulierte Vortrag und die Folien zum Download.

Um das Problem des gegenwärtigen Urheberrechts auf die Spitze zu treiben behandle ich zwei Begriffe: Eigentum und Kunst.

Das Thema Eigentum gehe ich aus einer liberalen Perspektive an; nicht nur, weil das die Denkschule ist, mit der ich vertraut bin, sondern auch aus einer politischen Notwendigkeit: Mit einer »linken« Argumentation läßt sich eine »Vergesellschaftung geistigen Eigentums« leicht begründen. (Zu unterschiedlichen Begründungs- und Kritikstrategien »geistigen Eigentums« mein Artikel »Digitalkommunismus oder liberale Avantgarde«) Es gilt, FDP und CDU zu überzeugen. (Bei einer nominell christlichen Partei wie der CDU ließe sich auch noch in der Tradition der christlichen Sozialethik argumentieren und, will man am Begriff »geistiges Eigentum« festhalten, dessen Sozialpflichtigkeit betonen. Mit der Rezeption »christlicher« Netz- und Urheberrechtspolitikansätze ist es aber in der CDU nicht weit her. Vergleiche dazu meinen Artikel /»netzpolitik.va – was die CDU vom Vatikan lernen kann«)

Das Thema Kunst habe ich gewählt, weil sich am Beispiel der Kunst alle Fragen, die auch im Alltag auftreten, radikalisieren lassen. Die »bloße« Reproduktion und Kopie eines Werks scheint intuitiv »falsch« zu sein, die Frage wird aber komplexer, wenn man die Werke etwa von Andy Warhol und Marcel Duchamps betrachtet. Kunst hinterfragt scheinbar einfache Konzepte wie »Schöpfungshöhe« und »Urheber«. Freiheit der Kunst ist eine radikalisierte Form demokratischer Offenheit.
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Bushido, der Tod des Autors und seine Auferstehung

Auch wenn’s den Richtigen trifft: Das Urteil gegen Bushidos Samplingpraxis zeigt wieder einmal die Differenz zwischen Recht und Kunst, und wie das Recht die Kunst behindert und formt.

Die Reaktionen sind erwartungsgemäß einhellig schadenfroh, nachdem Bushido sich mit aggresivem Verfolgen seiner Rechte durch Abmahnungen unbeliebt gemacht hat – derselbe Bushido, der sich damit brüstet, im Bedarfsfall gerne auch mal Uhren zu klauen. Immer wieder ist auch zu lesen, daß Bushido ja ohnehin ein minderwertiger Künstler sei.

Und richtig: Bushido ist kein Grandmaster Flash. Bushido könnte aber auch gar kein Grandmaster Flash sein: Hiphop, wie er entstanden ist, ist aufgrund der immer restriktiver verregelten Ideologie vom absoluten geistigen Eigentum nicht mehr möglich.
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Wikipedias Vulvagate

Am Sonntag war der Artikel Vulva Artikel des Tages bei der Wikipedia – illustriert mit einem Foto des Sujets. Die Aufwallung, die das erzeugt hat, ist beachtlich. Die Diskussionsseite hat es ausgedruckt auf über hundert Seiten gebracht.

Bemerkenswert sind für mich zwei Aspekte: Die Emotion, die die naturalistische Darstellung einer Vulva immer noch hervorruft. Und die Auswirkungen auf das Neutralitäts-Postulat der Wikipedia.

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Urheberrecht als künstlerischer Bankrott

Die »Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums« ist eine Nebelkerze. Vordergründig geht es um das Gute, Wahre und Schöne: Um die Rettung echter Kunst vor einem zerstörerischen Sturm aus Plagiaten, Epigonen und Raubkopien. Tatsächlich ist die Erklärung ein künstlerischer Offenbarungseid: Die unterzeichnenden Autoren machen sich stark für ein allzu einfaches Kunstverständnis, das in erster Linie den Verlegern dient.

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Placebo-Knopf gegen Kinderpornographie

jetzt-loeschen-Firefox-AddonAuf der CeBit stellte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) einen »White-IT-Button« vor (ein Firefox-Addon), mit dem sich Kinderpornographie vom Benutzer melden läßt.

Man gibt sich modern: jetzt-loeschen.de steht unter einer CC-Lizenz, das Addon wird als Open source unter der GNU-Lizenz vertrieben, die Entwicklung über Sourceforge koordiniert: Strafverfolgung als einfacher und sympathischer Web-2.0-Mitmachdienst. Ob das ganze aber wirklich so anonym und sicher ist, darf bezweifelt werden.
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